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Gegendemo vor dem Willy-Brandt-Haus (Foto: Anna Lang)

„Es geht nicht, dass diese Leute unseren Kiez missbrauchen für ihre verquere Propaganda“

Warum die BVV hat sich klar gegen die Aussagen von sogenannten Querdenker*innen positioniert, die in Kreuzberg demonstrieren, erklärt die Bezirksverordnete Hannah Lupper. Sie hat am Samstag eine der Gegendemos organisiert.

Am Samstag haben sogenannte Querdenker eine Demonstration mitten in Kreuzberg gestartet. Dazu haben sich die BVV-Fraktionen von SPD, Grünen, Linken, Partei und FDP mit einer gemeinsamen Erklärung zu Wort gemeldet und erklärt: „Ausgrenzenden, demokratiefeindlichen, herabwürdigenden, antisemitischen oder menschenfeindlichen Äußerungen stellen wir uns entschlossen entgegen.“ Wie kam es zu diesem ungewöhnlichen Vorgehen?

Hannah Sophie Lupper: Demonstriert hat eine Gruppe, die sich aus der Querdenker-Bewegung abgespalten hat und eher aus der Party-Szene kommt. Zunächst war nicht klar: Wie viele werden das und wie hoch ist das Mobilisierungspotenzial? Die Gruppe ist recht neu, hat sich aber vorher schon an Geschmacklosigkeiten beteiligt. Zum Beispiel an einem U-Bahn-Flashmob, bei dem sie ohne Maske Polonaise getanzt und „ein bisschen Sars muss sein“ gesungen haben. Dagegen haben wir uns als Fraktionen positioniert – und das auch erfolgreich. Nach Angaben der Polizei gab es um die 100 Corona-Leugner*innen und 1.500 Gegendemonstrant*innen. Das zeigt: Der Kiez hat auf diese Klientel nicht wirklich Lust.

Die „Querdenker“-Bewegung wird in Teilen bereits durch mehrere Landesämter für Verfassungsschutz als Verdachtsfall eingestuft. Es war uns als demokratische Bezirksvertreter wichtig, dass wir uns dagegen gemeinsam positionieren – und zwar parteiübergreifend und unabhängig vom Wahlkampf. Kritik an den Corona-Maßnahmen zu äußern, ist völlig legitim. Aber es ist nicht okay, Verschwörungstheorien zu verbreiten oder sich über die Opfer der Pandemie lustig zu machen.

Normalerweise hätten wir den Weg einer Resolution gewählt, um unseren Standpunkt als Bezirksparlament deutlich zu machen. Weil die nächste Sitzung der BVV aber erst nach der Demonstration stattfand, haben wir stattdessen eine gemeinsame Erklärung veröffentlicht. Die Resolution wollen wir jetzt trotzdem noch verabschieden, denn es wurde bereits eine weitere Querdenker-Demo angekündigt. (Nachtrag: Die Resolution wurde am Mittwochabend verabschiedet und ist hier zu finden.)

Hannah Sophie Lupper während der Gegendemo (Foto: Anna Lang)

Wie hast du die Veranstaltung am Samstag erlebt?

Es haben viele Nachbarschaftsbündnisse gegen die Querdenker mobilisiert. Natürlich waren auch zahlreiche Sozialdemokrat*innen vor Ort. Stark vertreten waren auch die „Omas gegen Rechts“. Mit denen ist das Demonstrieren erfahrungsgemäß immer sehr spaßig. Es war eine gute Stimmung und es sind ganz unterschiedliche Gruppen aus der Nachbarschaft aufeinandergetroffen, die sonst nicht so viel miteinander zu tun haben. Hier standen sie aber zusammen und haben deutlich gemacht: Es geht nicht, dass diese Leute unseren Kiez missbrauchen für ihre verquere Propaganda.

Die Pandemie beschäftigt seit mehr als einem Jahr auch unsere Bezirkspolitik. Was macht Corona mit der Verwaltung und den Bezirksverordneten?

Die Mitarbeiter*innen in der Verwaltung mussten zwischenzeitlich am Limit arbeiten. Das betrifft besonders das Gesundheitsamt oder auch das Ordnungsamt, das sich um die Umsetzung der Infektionsschutzverordnung kümmern musste. Hier wurde Großartiges geleistet.

Mit uns Bezirksverordneten macht die Pandemie dasselbe wie mit allen anderen Menschen auch. Man ist natürlich sehr unterschiedlich betroffen. Es gibt Menschen, die Angehörige oder Freunde verloren haben. Manche bangen um ihren Job oder haben ihn verloren, weil ganze Berufszweige einfach weggebrochen sind. Die ehrenamtliche Arbeit in der Bezirkspolitik hat sich auch verändert. Mittlerweile können wir BVV- und Ausschusssitzungen digital abhalten, aber das ist nur ein Behelfsmittel. Es ist schwieriger demokratische Diskurse zu führen, ohne sich begegnen und in die Augen schauen zu können.

Kritiker*innen der Anti-Corona-Maßnahmen lassen sich nicht über einen Kamm scheren. Auf der einen Seite gibt es Rassist*innen und Verschwörungsgläubige, die sich längst aus dem demokratischen Diskurs verabschiedet haben. Es gibt aber auch kritische Stimmen, die sagen: Wir brauchen Perspektiven, dass das Leben weitergehen kann, dass z.B. wieder Kultur- oder Sportveranstaltungen stattfinden können. Kommen diese Stimmen zu kurz?

Definitiv. Klar ist, dass wir bei den aktuellen Inzidenzwerten keine Kulturveranstaltungen in der klassischen Form durchführen können. Das ist nun einmal so. Aber viele Kultureinrichtungen sind von Corona dermaßen gebeutelt, dass sie uns verloren zu gehen drohen. Das gilt auch für die kleinen Geschäfte, Gewerbetreibenden etc, die unseren Bezirk prägen. Die Unterstützung für diejenigen, die von der Pandemie ausgebremst werden, müsste noch stärker sein. Und wir sollten uns als Bezirk jetzt schon Gedanken machen: Kriegen wir es hin, wenn die Inzidenzen es erlauben, dass wir ohne viel Bürokratie wieder Open-Air-Veranstaltungen zulassen können? Welche Formate lassen sich mit dem notwendigen Abstand realisieren? Und kann der Bezirk dafür Flächen bereitstellen? Diese Debatten führen wir im Bezirk auch. Im vergangenen Jahr haben wir uns zum Beispiel für Clubkultur-Veranstaltungen unter freiem Himmel ausgesprochen, wenn die Pandemielage es zulässt. Leider wurde das Thema von anderen Fraktionen auf die lange Bank geschoben, bis sich der Antrag wegen der Infektionslage nicht mehr umsetzen ließ.

 

Das Gespräch führte Carl-Friedrich Höck