Mit einem innovativen Ansatz will die SPD-Fraktion in der BVV Friedrichshain-Kreuzberg gegen die aus dem Ruder gelaufene touristische Kommerzialisierung ganzer Stadtviertel vorgehen. In einem aktuellen Antrag wird das Bezirksamt aufgefordert, für den Ortsteil SO36 in Kreuzberg und für den Boxhagener Kiez in Friedrichshain unverzüglich Bebauungspläne aufzustellen.
Planungsziel dabei ist, die große und das Leben in den betroffenen Stadtquartieren störende Häufung von Gastronomie-, Unterhaltungs- und Beherbergungsbetrieben einzuschränken. Weitere Gaststätten und Beherbungsbetriebe sollen in den betreffenden Gebieten nicht mehr genehmigt werden können.
Hintergrund dieser Regulierung ist die erhebliche Zunahme des Tourismus und das ausufernde Partyleben in den genannten Quartieren. Ganze Straßenzüge werden inzwischen weit überwiegend durch Gaststätten in den Erdgeschossen geprägt. Immer häufiger klagen Anwohnerinnen und Anwohner gegenüber Bezirkspolitikern darüber, dass diese Entwicklung zu ihren Lasten geht. Probleme bereiten ihnen nicht nur der alltägliche und nächtliche Lärm in den beliebten Ausgehmeilen oder die Vermüllung und Verwahrlosung des öffentlichen Raums. Weil Gastronomiebetriebe, Hotels, Hostels und Unterhaltungsbetriebe oft mehr Geld einbringen, verdrängen sie die klassischen Einzelhandelsgeschäfte, Dienstleister oder Gewerbebetriebe. Die ausreichende und qualitätsvolle Nahversorgung für die Menschen, die im Kiez leben und arbeiten, bleibt auf der Strecke.
Damit wird auch die städtebauliche Eigenart der betroffenen Quartiere, zu der die kleinteilige und gemischte Angebotsstruktur durch Läden und Dienstleistungen gehört, zerstört. Deswegen fordert die SPD das Bezirksamt auch auf, neben den sozialstruktuellen Zielen in den Erhaltungsgebieten gem. § 172 BauGB künftig auch die städtebauliche Eigenart dieser Gebiete zu schützen und die Erhaltungssatzungen entsprechend zu ergänzen.
Bisher beklagt Baustadtrat Hans Panhoff (Grüne), dass ihm die rechtlichen Mittel fehlten, um zum Beispiel neue Kneipen oder Hostels in den genannten Kiezen zu untersagen. Mit ihrem Antrag will die SPD-Fraktion nun ein Instrument schaffen, um das zu ändern. In dem touristisch ebenfalls beliebten Heidelberg wird dies bereits erfolgreich praktiziert. Mit den neuen Bebauungsplänen könnten „genehmigungspflichtige bauliche Nutzungen und bauliche Maßnahmen“ abgelehnt werden.
Weiter heißt es in dem Antrag: Für Milieuschutzgebiete im Bezirk soll „als zusätzliches Schutzziel der Erhalt der städtebaulichen Eigenart und der Schutz vor Umstrukturierung aufgenommen werden, insbesondere der traditionellen und – soweit noch vorhandenen – Mischung von Wohnen, Gewerbe, kleinteiligem Einzelhandel und Dienstleistungen. Der Umstrukturierung ganzer Straßenzüge in Ausgeh- und Partymeilen ist damit entgegen zu treten und die traditionelle Kreuzberger Mischung von Wohnen und Gewerbe vor der weiter voranschreitenden Umwandlung von Gewerbeflächen in Wohnflächen (Lofts- und Luxuswohnungen) besser zu schützen.“
Der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende und Vorsitzende des Stadtplanungsausschusses John Dahl erklärt dazu: „Mit dem Antrag wollen wir eine wichtige und dringend erforderliche Steuerungsmöglichkeit schaffen, von der der Bezirk bislang keinen Gebrauch gemacht hat.“ Das Bezirksamt sei viel zu lange tatenlos geblieben. „Bislang agierte das Bezirksamt vor der Entwicklung wie das Kaninchen vor der Schlange, wobei Schockstarre ja sogar noch halbwegs entschuldbar wäre.“
Volker Härtig, Bürgerdeputierter für die SPD im Stadtplanungsausschuss des Bezirks, sagt: „Berlin freut sich über seine touristische Attraktivität. Aber der Ballermann-Tourismus in Kreuzberg und Friedrichshain zerstört die Lebensqualität in weiten Teilen unsers Bezirks. Das Bezirksamt sieht dabei untätig zu. Viele Bürgerinnen und Bürger überlegen inzwischen, wegzuziehen, weil sie sich mit den Folgen des Trash- und Sauftourismus allein gelassen fühlen. Das muss sich ändern!“ Härtig ist auch Vorsitzender des bezirklichen Arbeitskreises Bauen und Stadtentwicklung der SPD und selbst Anwohner in der Görlitzer Straße.
Berlin, den 26.10.2015