In der nachgeholten BVV-Sitzung am Donnerstag ging es hoch her. Fast fünfeinhalb Stunden lang diskutierten die Bezirksverordneten und fragten das Bezirksamt aus. Manchmal kochten auch die Emotionen hoch. (Ein Video der kompletten Sitzung ist auf Youtube zu sehen.) Die mediale Aufmerksamkeit war höher als üblich, da unser Bezirk jüngst wieder Schlagzeilen produziert hat, die sogar bundesweit beachtet wurden. Getagt wurde diesmal übrigens im „Umspannwerk Ost“ in Friedrichshain.
Resolutionen
Aufnahme von Geflüchteten aus Moria – Hierzu haben Grüne, Linke und SPD eine gemeinsame Resolution eingebracht, die (gegen die Stimmen der AfD) angenommen wurde. Hintergrund: Mehr als 100 Kommunen und Bundesländer haben sich bereit erklärt, zusätzlich geflüchtete Menschen aufzunehmen. Innenminister Horst Seehofer blockiert diese Bemühungen jedoch. In der Resolution heißt es: „Der Bezirk Friedrichhain-Kreuzberg erwartet von der Bundesregierung grünes Licht für ein sofortiges Landesaufnahmeprogramm. Selbstverständlich ist auch unser Bezirk bereit, seinen Teil beizutragen.“ Der SPD-Fraktionsvorsitzende Sebastian Forck erinnerte in der Debatte daran, dass der Bezirk auch selbst noch mehr unternehmen müsse, als nur Forderungen an Bund und Land aufzustellen. „Wir haben die wenigsten Plätze für Geflüchtete in ganz Berlin.“ Friedrichhain-Kreuzberg müsse mehr Plätze schaffen.
Debatte um Florian Schmidt – Der grüne Baustadtrat hat wieder einmal Skandalmeldungen produziert. RBB und Tagesspiegel berichten, Schmidt habe verhindert, dass seine Verwaltung Brandschutzbestimmungen in dem teilweise von Autonomen besetzten Haus in der Rigaer Straße 94 durchsetzt. Eine Resolution der FDP forderte Schmidt deshalb zum Rücktritt auf. Sie wurde mehrheitlich von der BVV abgelehnt. Die SPD-Fraktion hat sich vorerst enthalten, was der Fraktionsvorsitzende Sebastian Forck so begründete: „Die BVV soll das Bezirksamt kontrollieren, aber meine Kontrolle als Bezirksverordneter basiert nicht darauf, was ich aus den Medien entnehme.“ Für den Stadtplanungsausschuss hat die SPD-Fraktion Akteneinsicht beantragt. Erst müssten die Fakten auf den Tisch – und dann werde die SPD-Fraktion diese politisch bewerten. Klar ist: Der Vorwurf, Schmidt habe aus politischen Gründen seine Verwaltung behindert und womöglich die Gesundheit und das Leben von Menschen gefährdet, wiegt schwer.
Aus der Fragestunde
Dialogverfahren zur Markthalle Neun – Liegen hierzu bereits die Ergebnisse vor und wann werden sie präsentiert? Das wollte SPD-Fraktionsvizin Sevim Aydin wissen. Die Antwort von Monika Herrmann: Die Ergebnisse seien da und würden demnächst für alle Interessierten einsehbar gemacht. Die ursprünglich geplante Dialogwerkstatt mit Anwohner*innen werde in diesem Jahr aufgrund der Pandemie nicht mehr durchgeführt. Derzeit würden Alternativen ausgelotet.
Schulreinigung verbessert – Gute Nachrichten hatte Schulstadtrat Andy Hehmke (SPD) in der Fragestunde im Gepäck: Laut bezirkseigenem Monitoring sei die Zufriedenheit mit der Schulreinigung deutlich gestiegen. Aus den Schulen wurde im Frühjahr eine Durchschnittsnote von 2,37 gemeldet. Es hat sich offenbar gelohnt, dass im Bezirk zusätzliches Geld für eine tägliche Zwischenreinigung der Toiletten bereitgestellt wurde.
Doch kein internationales Zentrum für Geflüchtete – Erinnern Sie sich an die Debatten um die ehemalige Gerhart-Hauptmann-Schule? Ursprünglich war dort mal ein Projektehaus für Soziales, Bildung und Kultur angedacht. Dann wurde das Gebäude, mit Duldung der grünen Bezirksamts-Mitglieder, von Geflüchteten besetzt. Der nächste Plan des Bezirksamtes: Hier sollte nicht nur eine reguläre Unterkunft, sondern ein „Internationales Zentrum für Geflüchtete“ entstehen. Mit dieser Ankündigung zogen die Grünen auch 2016 in den Wahlkampf. Nun hat sich die SPD-Verordnete Hannah Lupper nach dem Sachstand erkundigt. Bürgermeisterin Monika Herrmann räumte ein: „Wir haben viele Wege gesucht, wir waren damit nicht erfolgreich.“ Stattdessen wolle man nun mit dem Bezirksparlament diskutieren, ob aus der „GHS“ ein Dienstgebäude für den Bezirk gemacht wird. Ein Problem: Der Hauptflügel, in dem es 2017 gebrannt hatte, kann bis heute nicht verwendet werden, da Gelder für die Sanierung fehlen. Als Schule lässt sich der Gebäudekomplex übrigens nicht mehr nutzen – in der Zwischenzeit wurde ein Bauprojekt der Howoge (Campus Ohlauer Straße) auf dem früheren Schulhof genehmigt.
Kampf gegen Verwahrlosung – Mit einer Großen Anfrage hat die SPD-Fraktion sich erkundigt, was das Bezirksamt unternehmen will, „um die Vermüllung, Verwahrlosung von Plätzen, Orten, Straßen und Spielplätzen wie beispielweise im Wrangelkiez oder im Wassertorkiez und an der Marheineke-Markthalle zu vermeiden und für mehr Sicherheit zu sorgen?“ Sozialstadtrat Knut Mildner-Spindler (Die Linke) zählte daraufhin fast 20 Minuten lang Maßnahmen und Vorhaben auf. Zum Beispiel: Aufstellen von Spezialbehältern für die Entsorgung von Spritzbesteck, Einsatz von Park- und Kiezläufern, Sperrmüllaktionstage, vermehrte Einsätze des Ordnungsamtes gegen wilde Müllablagerungen („Waste Watching“), das Projekt „Fair Kiez“ (Förderung von stadtverträglichem Tourismus), ein Fachaustausch Straßensozialarbeit, um die Obdachlosigkeit auf Straßen zu überwinden etc. … Die vollständige Antwort wird demnächst auf der Bezirkswebsite nachzulesen sein.
Die SPD-Verordnete Sevim Aydin hatte zuvor angemahnt, insbesondere Kinder besser zu schützen. Erst vor einigem Monaten habe sich ein Kind auf einem Spielplatz an der Stallschreiberstraße durch eine Spritze verletzt. Kreuzberg habe nie zu den saubersten Bezirken gehört. „Das Problem ist also nicht neu, sondern hat sich ausgeweitet beziehungsweise verschlimmert. Aktuell bereiten vor allem der Verkauf und der Konsum von Drogen, die herumliegenden Spritzen, Flaschen und die zunehmende Aggressivität in der Drogenszene Anwohner*innen große Sorgen.“ Verwundert zeigte sich Aydin darüber, dass Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann sich nicht selbst den Fragen der SPD-Fraktion stellte, sondern den Sozialstadtrat ans Rednerpult schickte. Denn Herrmann hatte sich zuvor in der Presse zum Thema geäußert und damit einige Schlagzeilen produziert.
Antragsberatungen
Hilfe von der Bundeswehr? Um die Bezirke dabei zu unterstützen, die Kontakte von Corona-Infizierten nachzuverfolgen, hat die Bundeswehr erneut Unterstützung angeboten. 180 Mitarbeiter*innen werden den Gesundheitsämtern zur Verfügung gestellt. Als einziger Bezirk lehnt Friedrichshain-Kreuzberg die Hilfe bisher ab. Dabei entwickelt sich unser Bezirk gerade zu einem echten Corona-Hotspot.
Ein Dringlichkeitsantrag der SPD-Fraktion fordert das Bezirksamt auf, die organisatorischen und räumlichen Voraussetzungen zu schaffen, „um im Bedarfsfall das Hilfsangebot der Bundeswehr im Verwaltungsbereich zur Kontaktermittlung auch in unserem Bezirk in Anspruch nehmen zu können.“ Mit dem Antrag soll auch verhindert werden, dass andere Teile der Verwaltung unnötig lahmgelegt werden, weil deren Mitarbeiter*innen im Gesundheitsamt aushelfen müssen. Mit Blick auf steigende Corona-Fallzahlen und den bevorstehenden Winter ist das kein ganz unwahrscheinliches Szenario.
Gesundheitsstadtrat Knut Mildner-Spindler (Die Linke) bemühte sich, ein anderes Bild zu zeichnen. „Wir sind gut aufgestellt, um unsere Aufgaben erfüllen zu können“, sagte er in der BVV. Auch ohne Bundeswehr habe der Bezirk die empfohlene Quote fast erfüllt, nach der pro 20.000 Einwohner*innen fünf Stellen für die Kontaktnachverfolgung besetzt werden sollen – das wären in Friedrichshain-Kreuzberg 72 Mitarbeiter*innen.
Die SPD-Verordneten Sebastian Forck und Hannah Lupper bewerteten die Auskünfte des Stadtrates als „erstmal positiv“. Es gehe jetzt aber auch darum, für die kommenden Wochen vorzusorgen – damit die Hilfe kurzfristig angenommen werden kann, wenn sie später doch noch gebraucht wird. Dass es schon jetzt durchaus Personalengpässe gibt, zeigen die Einschulungsuntersuchungen: Diese sind in diesem Jahr coronabedingt ausgefallen. Ob bundesweite Personal-Quoten der richtige Maßstab für ein Gesundheitsamt sind, das die spezielle Situation eines Berliner Innenstadtbezirkes meistern muss, wird wohl auch noch einmal diskutiert werden. Und zwar im Ausschuss für Soziales und Gesundheit, wohin der SPD-Antrag zur Beratung überwiesen wurde. Laut Tagesspiegel soll sogar die Bezirksbürgermeisterin hoffen, dass der SPD-Antrag beschlossen wird – in der BVV äußerte sie sich dazu nicht.
Unterstützung für den Verein Berliner Unterwelten – Den Verein Berliner Unterwelten gibt es sei 1997. Er erforscht die unterirdischen Anlagen der Stadt und hat sie im vergangenen Jahr 350.000 Besucher*innen nähergebracht. Dazu gehört auch der sogenannte „Fichtebunker“ in Kreuzberg. Doch die Corona-Krise macht dem Verein zu schaffen und gefährdet sogar dessen Existenz. Auf Vorschlag der SPD-Fraktion hat die BVV das Bezirksamt beauftragt, „sich kurzfristig gegenüber dem Senat und dem Kultursenator für eine finanzielle Überbrückungshilfe der IBB für den Verein Berliner Unterwelten e.V. einzusetzen, um eine drohende Insolvenz abzuwenden.“ (Mehr Informationen)
Keine Heizpilze – Ein FDP-Vorstoß, das Verbot umweltschädlicher Heizpilze auszusetzen, wurde von der Mehrheit der BVV abgelehnt. Es gebe alternative und CO2-arme Wärmequellen, hatte Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann während der Debatte erklärt.
Vorkaufsrecht bleibt – Ebenfalls chancenlos war ein FDP-Antrag, der es dem Bezirk grundsätzlich untersagt hätte, sein Vorkaufsrecht in Milieuschutzgebieten auszuüben. Die SPD-Fraktion stimmte natürlich gegen die FDP-Initiative. Das Vorkaufsrecht ist und bleibt ein wichtiges Instrument, um Mieter*innen vor Verdrängung zu schützen.
Logo oder Bezirkswappen? – Das Bezirksamt will seine Briefköpfe nicht mehr mit dem Wappen des Bezirkes, sondern einem eigenen Bezirksamts-Logo versehen. Die CDU forderte, dazu müsse erst einmal ein Bürgerentscheid stattfinden. Eine Mehrheit fand die CDU dafür nicht – auch wegen der hohen Kosten, die damit verbunden wären.
Dieser Bericht stammt aus dem regelmäßig erscheinenden Newsletter der SPD-Fraktion in der BVV Friedrichshain-Kreuzberg. Anmelden können Sie sich hier: spdfraktion-xhain.de/newsletter/