Das Bezirksamt rudert zurück: Der Kreuzberger Wein soll nun doch nicht in „01001011“ umbenannt werden. Die Zahlenfolge hätte auf die Erfindung des ersten binären Digitalrechners Z3 in Kreuzberg durch Konrad Zuse verwiesen. Die Forschung war allerdings Teil der NS-Rüstungsindustrie. Dazu sprechen wir im Folgenden mit der Bezirksverordneten Hannah Sophie Lupper.
Nach Protesten der SPD-Fraktion räumt die Bürgermeisterin ein: Dem Bezirksamt sei bisher nicht bekannt gewesen sei, „in welchen problematischen Positionen und Forschungsgebieten Konrad Zuse in der Zeit des Nationalsozialismus gewirkt und geforscht hat“. Was sagt das über die Vorgehensweise des Bezirksamtes aus?
Hannah S. Lupper: Es ist verwunderlich, dass das Bezirksamt eine Umbenennung beschließt, ohne vorher gründlich zu recherchieren was man über den Geehrten wissen sollte. Eigentlich ist es im Bezirk Tradition, dass wir alle Personen, die wir ehren, vorher auch kritisch durchleuchten. Das Vorgehen zeigt, dass offenbar sehr schnell ein Name gesucht wurde, der unter Marketingaspekten funktioniert – aber man sich nicht allzu gründlich damit befasst hat, ob der Name auch geeignet ist Kreuzberg zu repräsentieren.
Das Bezirksamt argumentiert, es habe gar nicht Konrad Zuse ehren wollen. Es habe lediglich daran erinnern wollen, „dass exakt an diesem Ort eine der ersten technischen Anwendungen eines Binärcodes erfolgt ist“, wie Monika Herrmann sagt. Findest du das schlüssig?
Nein. Mann kann die Erfindung nicht vom Erfinder trennen. Die NS-Rüstungsmaschinerie hat die Entwicklung des Digitalrechners erst möglich gemacht. Dieser historische Kontext lässt sich nicht einfach ausblenden, auch wenn der Z3 für die zivile Technikgeschichte ebenfalls spannend gewesen sein mag. Zuse selbst hat ja lautstark Überlegungen angestellt, wie sich seine Erfindung für die Zwecke der Nazis einsetzen lassen könnte.
Die SPD-Fraktion hatte auch kritisiert, dass die Partnergemeinden Wiesbaden und Ingelheim sowie der Partnerschaftsverein nicht einbezogen wurden, als das Bezirksamt die Umbenennung beschlossen hat. Warum ist das ein Problem?
Das zeugt von fehlender Wertschätzung. Es gab einen Brief der städtischen Partnerschaftsbeauftragten aus Wiesbaden an die BVV. Darin erzählte sie, dass sie von der Umbenennung aus der Zeitung erfahren hat, obwohl sie zu den Initiator*innen des Weinprojektes gehört. Auch in Friedrichshain-Kreuzberg wurde der Städtepartnerschaftsverein nicht informiert, der das Projekt ebenfalls mit begründet hat. Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann hat im Immobilienausschuss der BVV ziemlich deutlich gesagt, dass wir den Partnerschaftsverein zu dem Thema nicht mehr einladen müssten. Der sei sowieso raus aus der Sache.
Hannah Sophie Lupper ist Bezirksverordnete in Friedrichshain-Kreuzberg. Sie ist Sprecherin der SPD-Fraktion im Ausschuss für Umwelt, Klimaschutz, Verkehr und Immobilien.
… Offiziell hat Herrmann jetzt behauptet: Dass die Partnerschaftsvereine nicht einbezogen wurden, sei ein Versäumnis gewesen. Erklärt hat sie das mit dem Übergang der Zuständigkeit in ihr Ressort.
Im Ausschuss hat sie neulich sehr deutlich gemacht, dass der Wein kein Projekt des Städtepartnerschaftsvereins mehr sei. Man wolle jetzt eine Genossenschaft gründen, die sich um diesen Wein kümmert. Für mich klang das nicht wie ein Versehen, sondern nach einer klaren Absicht: Die Bürgermeisterin wollte den Kreuzberger Wein vom Projekt Städtepartnerschaft entkoppeln.
Wie soll die Weinproduktion denn in Zukunft organisiert werden?
Das wissen wir selbst noch nicht genau. Es soll eben diese Genossenschaft geben, die sich um den Wein inklusive Vermarktung, Abfüllung, Ausgabe usw. kümmert. Der Weinbauer wurde der BVV schon vorgestellt, das ist ein Bio-Weinbauprojekt mit Sitz in Brandenburg. Die machen einen sehr netten Eindruck. Der Rest ist noch etwas intransparent. Wer neben dem Bezirksamt und den Winzern noch Teil der Genossenschaft werden soll, konnte das Bezirksamt auf Nachfrage nicht beantworten. Das erscheint mir alles nicht besonders plausibel. Man plant doch so eine Genossenschaft nicht ins Blaue hinein, ohne schon prädestinierte Kandidatinnen und Kandidaten zu haben.
Wer hat denn den Wein bisher produziert?
Es gab einen ehrenamtlichen Stadtwinzer. Früher sind die Trauben zum Keltern nach Wiesbaden geschickt worden. Das ist – auch aus ökologischen Gründen – eingestellt worden. Und abgegeben wurde der Wein über das Büro des Wirtschaftsstadtrates. Der ist nicht verkauft oder vermarktet worden. Einige Flaschen wurden vom Bezirksamt zu besonderen Anlässen verschenkt, der Rest wurde gegen eine Spende an interessierte Bürger*innen abgegeben. Die Spenden sind wiederum in das Weinprojekt geflossen.
Zurück zum Etikett: Die Bürgermeisterin hat angekündigt, es werde jetzt eine digitale Online-Bürger*innenabstimmung zum künftigen Namen geben. Die Partnerschaftsvereine sollen einbezogen werden. Ist das eine gute Idee?
Die Generation, die sich das Weinprojekt mal ausgedacht hat, ist jetzt schon älter und nicht unbedingt digital-affin. Daher befürchte ich, dass das Verfahren wieder an ihnen vorbeilaufen wird, wenn es ein rein digitales Format wird. Außerdem stellt sich die Frage: Wenn die Bürger*innen über den Namen abstimmen dürfen, wer macht denn die Vorschläge? Mir ist wichtig, dass im Findungsprozess die beteiligten Akteur*innen einbezogen werden. Das sind die Partnerstädte, der Partnerschaftsverein, die Winzer*innen, Verwaltung etc. Die sollten an einen Tisch kommen und sich einig werden. Und wenn jetzt eine Genossenschaft gegründet wird, sollten die Partnerstädte und der Städtepartnerschaftsverein hier auch jeweils einen Platz haben. Im Kern ist es ein bezirkliches Projekt mit viel Tradition. Da sollte die BVV auch in Zukunft ein Mitspracherecht haben.
Der Partnerschaftsverein Wiesbaden-Friedrichshain-Kreuzberg hat sich im Tagesspiegel auch grundsätzlich geäußert: Die Partnerschaft sei etwas eingeschlafen. Viele Städte würden internationale Partnerschaften eingehen und den innerdeutschen Beziehungen nicht mehr so viel Aufmerksamkeit widmen. Siehst du es ähnlich?
Natürlich hat sich einiges verändert. Die Partnerschaften zwischen westdeutschen Städten und Berlin sind in Zeiten entstanden, als die Mauer noch stand. Sie waren ursprünglich eine Hilfsmaßnahme dieser Gemeinden gegenüber dem eingeschlossenen West-Berlin. Diese Zeiten sind lange vorbei. Trotzdem halte ich es für wichtig, dass die aufgebauten Verbindungen gepflegt werden. Viele Kinder haben Klassenfahrten nach Berlin unternommen und so das Großstadtleben hier kennengelernt. Das ist eine ganz andere Art des Austauschs, als wenn ein paar ausgewählte Repräsentant*innen zu einer Partnerkommune ins Ausland fliegen. Städtepartnerschaften sind auch dazu da, dass sich Leute begegnen, kennenlernen und Neues entdecken. Deshalb wäre es schade, wenn die deutsch-deutschen Verbindungen verlorengehen.
Das Gespräch führte Carl-Friedrich Höck.